08.10.2007

"Wir" waren und "wir" sind keine "Große Familie"

Als Antwort auf den Leserbrief eines Herrn D. veröffentlichte am 07. Januar 2006 die Frankfurter Regionalzeitung DER ODERLAND-SPIEGEL meinen Leserbrief zum Thema: "Wir waren und wir sind keine "Grosse Familie":

Werter Herr W.D., es stimmt. Ich habe keinen Respekt - Ihnen gegenüber. Und gegenüber allen ehemaligen haupt- und nebenberuflich tätigen Stasi-Rentnern. Gegenüber allen haupt- und nebenberuflich tätigen SED-Funktionärs-Rentnern (im weiteren Text: "SED-Rentner"). Gegenüber all denen, die sich in der DDR anmaßten, mir zu sagen: "Wir sind eine große Familie".
Jeder, der sich von dieser "großen DDR-Familie" distanzieren wollte, wurde unfreundlich mit Berufsverbot bedroht. Jeder, der hartnäckig aus der "grossen DDR-Familie" raus wollte, musste mit Gefängnis rechnen. Viele wurden bei ihrem Versuch, diese "grosse DDR-Familie" zu verlassen, an der Grenze erschossen. Nein, ich habe keinen Respekt vor Ihnen und ihresgleichen. Meinen Respekt haben Sie nicht "verdient". Ich bedanke mich bei Ihnen auch nicht für Ihre "Verdienste" um die Stadt Frankfurt (Oder) oder das Land DDR, in dem ich auch gelebt habe. Diese sogenannte "grosse Familie" war und ist für mich eine zynische SED-Propagandalüge - und es war und es ist eine der Lebenslügen der Generation Krause & Co.
In ein paar Jahren werde auch ich Rentner sein. Aber ich werde dann nicht mit dem SED-Polit-Rentner Fritz Krause (2), mit Stasi-Rentnern und anderen SED-Rentnern unter dem Motto "Wir sind eine große Familie" Kaffee trinken und schunkeln.
Ich fordere die Frankfurter Stadtverwaltung bereits heute auf, meinen Namen aus der Einladungsliste zu löschen. Den Geldbetrag aus dem Veranstaltungsposten, der anteilig auf meine Person entfallen würde, sollten die Frankfurter Stadtpolitiker dann an ein Jugendprojekt oder einen Jugendsportverein vergeben.
Ich weiß, daß einige Frankfurter in dieser Sache auch so wie ich denken. Ich rufe sie hiermit auf, sich ebenfalls an die Frankfurter Stadtverwaltung zu wenden, um ihren Namen aus der Einladungsliste für diese sogenannte "Grosse Familie" löschen zu lassen. Es ist an der Zeit, neue Traditionen zu entwickeln (3), in denen kein Profilierungsplatz mehr ist für SED-Polit-Rentner Fritz Krause & Co.

Anmerkung 1 bis 5:
1. Unter dem propagandistischen Titel "Wir sind eine grosse Familie" wurden in Frankfurt (Oder) seit 1965 im Dezember kommunal finanzierte Rentner-Weihnachtsfeiern durchgeführt.
2. Fritz Krause war in Frankfurt (Oder) SED-Oberbürgermeister von 1965-1990. Seit seiner Abdankung infolge der politischen Veränderungen 1989/90 hat er es in den Jahren seit 1990 mit Hilfe der SED/PDS/Linke und seiner alten SED-Anhänger geschafft, sein Wirken als OB in Frankfurt zu verklären. Er ließ sich noch bis zu seinem Tod 2012 als "Gallionsfigur" der alten SED-Zeiten und ihrer Anhängerschaft in der Öffentlichkeit hofieren. Dabei helfen ihm und seinen Anhängern natürlich die schwierigen Gegenwartsprozesse und die Schwächen der nachfolgenden Frankfurter Oberbürgermeister.
3. An jenem Wochenende (07.+08. Januar 2006), als mein oben zitierter Leserbrief im Oderland-Spiegel veröffentlicht wurde, gab es einen Ansturm von vielen anonymen Telefonanrufern. U.a. fand ich auch eine Morddrohung auf meinem Anrufbeantworter. So sind sie halt, die alten ehemaligen Stasi-Mitläufer, Stasi-Täter und SED-Funktionäre. Das war, ist und bleibt ihr Handwerk bis zu ihrem letzten Atemzug: Einschüchterung, Zersetzung, Denunziation, Bedrohung bis hin zur psychischen und physischen Vernichtung. Tatsache aber ist: Ihre Herrschaftszeit ist beendet. Die Erinnerung daran bleibt bestehen: nicht nur bei den Tätern, sondern erst recht bei deren Opfern. Deshalb: "Wir" waren und "wir" sind keine "grosse Familie". Die Täter leben noch unter uns. Manche davon auch in Seniorenheimen.
4. In dem Veranstaltungstitel "Wir sind eine große Familie" sehe ich die Lebenslüge der Krause-Generation samt Anhänger. Viele Frankfurter haben bis zum Herbst 1989 ganz andere Alltagserfahrungen mit dem SED-Regime gemacht, als es dieser Propaganda-Titel suggeriert. Auch heute machen viele ältere Frankfurter Erfahrungen in ihrem Alltag, die ihnen Anlass geben, Einladungen zur kommunalen Senioren-Propagandafeier in zunehmendem Maße zu ignorieren. Das Verhältnis der Eingeladenen zu den tatsächlichen Teilnehmern sank bereits auf 30 Prozent. Diese Tendenz verdeutlicht einen Widerspruch, den die politische Klasse und die Medien in Frankfurt bisher noch ignorieren!
5. Meinen Protest gegen die beabsichtigte Spende des Klinikums Frankfurt (Oder) zugunsten der Veranstaltung "Wir sind eine Große Familie" habe ich der Leitung des Krankenhaus-Konzerns schriftlich in einem offenen Brief vom 06.04.2006 mitgeteilt. Daraufhin hat dieser Klinik-Konzern sein Sponsoring für diese Veranstaltung eingestellt!

Die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur hat im Januar 2017 das Internet-Portal "Zeitzeugen" freigeschaltet. Das Zeitzeugenportal richtet sich an all diejenigen, die mehr über die Menschen erfahren wollen, die in der Zeit von 1945 bis 1989 auf dem Gebiet des Landes Brandenburg Widerstand leisteten, politische Verfolgung erlitten und Unrecht oder Willkür der SED-Herrschaft erlebten. [Zum Portal "Zeitzeugen"]

3 Kommentare:

  1. Anonym8.10.07

    Leserbrief vom 05.10.2007 (MOZ)
    Wieder und wieder hört man das wehleidige Klagen der Ossis bzw. Neu-Wessis: "Zu Hause (im Osten) sind die Leute freundlicher" oder "Hier im Westen fehlt einfach die menschliche Nähe" o.ä.
    Wie konnten denn in einem als Diktatur verschrieenen Land der permanenten Stasi-Spitzelei, der SED-Knechtschaft, der Unfreiheit, sogar des Nachttopfzwangs in Kinderkrippen menschliche Nähe und allgemeine Freundlichkeit überhaupt gedeihen? Das Gegenteil hätte doch eigentlich der Fall sein müssen.
    V.L. - Ffo.

    AntwortenLöschen
  2. Anonym8.10.07

    Mit suggestiven Fragen baut V.L. eine Verklärung der Ex-DDR-Verhältnisse auf, indem er die im Westen subjektiv empfundenen Defizite bei „Freundlichkeit“ oder „menschlicher Nähe“ als objektive Beweise für die angeblich bessere Ex-DDR unterstellt.
    Nebenbei bemerkt er, dass die Ex-DDR ja eigentlich nur ein „als Diktatur verschrieenes Land“ war, also seiner Meinung nach keine echte Diktatur, sondern eigentlich nur ein harmloses Ländle, dass als Dik-tatur von seinen westlichen Feinden diskriminiert wird. Inzwischen wissen aber die meisten Ost- und Westdeutschen aus vielerlei Quellen, dass die Ex-DDR eine tatsächliche Diktatur war. Als geborener Ossi habe ich diese unfreundliche Staatsform persönlich lange erleben müssen.
    Hätte V.L. die ökonomisch-philosophischen Manuskripte von Karl Marx studiert, wüsste er, dass die Ursachen für die unterschiedliche Prägung der ost- bzw. westdeutschen Einwohner in der unterschiedlichen Rolle des Geldes und des Privateigentums in den beiden getrennten deutschen Gesellschaften lag.
    In der weltoffenen Ex-BRD beherrschte das Geld den täglichen Tauschhandel. In der abgeschotteten und gleichmacherischen Ex-DDR wurde die zentrale Rolle des Geldes als beherrschendes Tauschmittel und die Rolle des Privateigentums politisch entwertet, vernachlässigt und denunziert.
    Ein wichtiger, emotional prägender Teil des Güter- und Informationstauschhandels wurde von uns Ossis deshalb direkt abgewickelt. Dies erzwang geradezu diese sogenannte „menschliche Nähe und Freundlichkeit“, weil der unmittelbare Tausch von Informationen und Gütern anders nicht möglich war. Freundlichkeit und Nähe war in der Ex-DDR deshalb ein ebenso notwendiges wie wertvolles Beschaffungsmittel neben den wertlosen DDR-Alu-Chips. Dies hat tiefe Spuren in unser aller Ossi-Leben noch bis heute hinterlassen.

    Inzwischen haben wir uns, der eine Ossi mehr, der andere Ossi weniger, an die zentrale Rolle des Geldes und des Privateigentums in unserer heutigen Gesellschaftsform und die damit einhergehenden Verhältnisse und Verhaltensweisen gewöhnt und praktizieren sie immer stärker. Es ist also letztendlich nur eine Frage der Zeit und der neuen Generationen, bis die verinnerlichten Ossi-Mentalitäten ausgespült sind. Also prägt das flexible Sein immer wieder das nachwachsende Bewusstsein.

    Noch immer stoße ich bei einigen Ossis auf Unfreundlichkeit und Distanz, wenn es um ihr politisches Verhalten in der Ex-DDR geht.
    E.J.+K.S.

    AntwortenLöschen
  3. Anonym8.10.07

    Guten Tag dem Blog-Betreiber, Sie äußern klar und deutlich Ihre Meinung. Scheinbar wollen die Leute, die Ihnen drohen, zurück zu den Zeiten, als nicht einmal etwas in Frage gestellt werden durfte, ganz abgesehen von einer anderen Meinung.
    Ich finde es mehr als fragwürdig, wenn jemand 1500 € Rente bezieht und sich das Treffen mit alten "Kameraden" von der Stadt bezahlen läßt.
    Mein Eindruck: Manch einer nimmt, wo er nur kann. Oft sind es die gleichen Leute deren Credo lautet: Ich habe diesen Staat nicht gewollt, folglich interessiert mich auch nicht wo das Geld herkommt für meine Wünsche und populistischen politischen Forderungen. Damit gehen diese Leute auf Stimmenfang (wie schon gehabt).
    Sie haben die Wahrheit ungeschminkt und ohne Rücksichten deutlich ausgesprochen - danke.
    R.S.

    AntwortenLöschen