29.04.2020

Diskussionen um Frankfurter Stasi-Archiv

Warum engagiere ich mich für dieses spezielle Thema?
Im Februar und März 1990 war ich bei der Auflösung der DDR-Staatsicherheit aktiv beteiligt im Frankfurter Bürgerkomitee "Auflösung MfS" als Leiter der AG Akten/Unterlagen. In diesen besonderen Wochen des Frühjahrs 1990 entstand mein Text "Der heiße Atem der Geschichte - Tagebuch eines MfS-Auflösers 1990". Gedruckt wurde mein Tagebuch im Sommer 1990 in Ausgabe 1/90 der von mir mitbegründeten Zeitschrift "Spiritus - Das unabhängige Kulturmagazin der Oderregion" - die Details findest du in diesem Blog-Artikel.


Am Montag, den 27. April 2020, veröffentlichte die Märkische Oderzeitung einen Artikel unter der Überschrift "Standort für Stasi-Unterlagen-Archiv in Brandenburg noch offen". Der MOZ-Journalist Mathias Hausding schrieb am gleichen Tag dazu einen Kommentar: "Nicht wegducken".

Zu diesem Thema schrieb ich im November 2018 einen Leserbrief, der am 17.11.2018 im Oderlandspiegel veröffentlicht wurde. Zusätzlich schrieb ich einige E-Mails an Landespolitiker und an die BStU-Zentrale.

Ich sehe in dieser Angelegenheit unsere Frankfurter Stadtpolitiker in der Pflicht und der Verantwortung, aktiv zu werden und Lobbyarbeit für unsere Stadt zu leisten. Ebenfalls halte ich es für dringend notwendig, dass ehemalige Mitglieder der Frankfurter Gruppierung "Neues Forum" sich der Presse und gegenüber von Land und Bund zu Wort melden, um so für den Archiv-Standort Frankfurt (Oder) zu kämpfen.

Ich bin überzeugt, dass viele bekannte Sachgründe für einen Verbleib der BStU-Außenstelle in Franfurt (Oder) sprechen. Sie sind in Abwägung zum angedachten Standort Cottbus schwergewichtig. Dem Steuerzahler kann man die zuzumutenden Kosten, die durch den Verbleib der Außenstelle in Frankfurt (Oder) entstehen, wesentlich überzeugender darstellen als jene hohen Kosten, die durch einen Komplett-Umzug des Archivs nach Cottbus entstehen. Für den Stadtort Frankfurt (Oder) spricht: Die BStU-Liegenschaft in Frankfurt (Oder) gehört dem Bund. Jahrzehntelange konzeptionelle Arbeit und Erfahrungen vor Ort, ein erfahrenes und in der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit engagiertes Mitarbeiter-Team, keine zusätzlichen hohen Umzugskosten: In Cottbus müsste man eine neue Liegenschaft ausbauen, ein neues Team zusammenstellen und einarbeiten. In Frankfurt wäre lediglich in eine schützende Klimaanlage zu investieren. Wer das alles vernünftig betrachtet, kann nicht nachvollziehen, warum ein Umzug überhaupt erwogen wird.

Leider wurde in den letzten Jahren und Jahrzehnten in Frankfurt (Oder) relativ wenig um das Frankfurter Stasi-Archivs gekämpft, denn seine Existenz war ja quasi selbstverständlich und bisher nicht gefährdet. Leider gibt es in Frankfurt kein Menschenrechtszentrum wie in Cottbus, das sich um die notwendige Erinnerungsarbeit in Sachen SED-DDR-Stasi hier vor Ort kümmert. Frankfurt hat zwar einen Historischen Verein, aber die Mitglieder interessieren sich - meiner Meinung nach - nicht wirklich für dieses Geschichtskapitel. Möglicherweise, weil einige Vereinsmitglieder durch ihre ehemalige SED-Mitgliedschaft belastet sind.


Bereits seit 1992 arbeitet das Frankfurter Stasi-Archiv. Seit vielen Jahren liegen die Cottbuser Akten hier in Frankfurt. Ich meine, der Standort Frankfurt (Oder) funktioniert. Die fachlich kompetenten Frankfurter Archiv-Mitarbeiter haben ein Recht darauf, dass ihre Erfahrungen mit den Akten gewürdigt und respektiert werden. Doch plötzlich stehen hier in Frankfurt ihre Existenzen und die Schicksale ihrer Familien unnötigerweise zur Disposition. Es stellt sich mir die Frage: Wer hat diese Standort-Diskussion initiiert? Bis 2018 gab es diese Diskussion nicht. Was hat diese Diskussion ausgelöst? Und warum reagiert Frankfurt (Oder) in dieser Angelegenheit bisher so schwach und zögerlich?


Eine einfache Antwort habe ich nicht, aber Vermutungen: Frankfurt hat einen Oberbürgermeister, dessen Parteizugehörigkeit problematisch ist: die Frankfurter SED-PDS-Linkspartei ist seit 1990 nicht aufgefallen durch eine glaubwürdige Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte. Im Frankfurter Stadtparlament sitzt seit Jahrzehnten als größte Fraktion die SED-PDS-Linkspartei. Das wiederum läßt Rückschlüsse zu auf das Denken und Handeln jener Frankfurter Bürger, die sie dorthin gewählt haben. Frankfurt ist durch seinen Status als Ex-DDR-Bezirkshauptstadt "durchseucht" mit ehemaligen SED-Mitgliedern, mit Ex-SED-Funktionären, mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern, ehemaligen Polizei- und NVA-Mitarbeitern sowie sogenannten DDR-Eliten und all ihren Angehörigen. Sie alle sind geprägt durch eine daraus resultierende Geisteshaltung. Sie alle beeinflussen noch immer das politische Klima Frankfurts. Es gibt leider bisher noch keine gleichstarke politische Gegenmacht. Nur der Tod bewirkte bisher die Schwächung dieser Linkspartei-Wählerschaft. Von diesen Frankfurter Bürgern erwarte ich keine Unterstützung im Kampf um das Stasi-Archiv.

Deutlich wird dies unter anderem durch zahlreiche Pro-DDR-Leserbriefe, die in den letzten 30 Jahren in Frankfurter Zeitungen abgedruckt wurden. Zuletzt erschienen im Februar 2020 (!) in der Märkischen Oderzeitung an einem Tag gleich zwei Leserbriefe, in denen von den Briefschreibern gefordert wurde, eine Frankfurter Straße zugunsten des ehemaligen Frankfurter SED-Oberbürgermeisters Fritz Krause umzubenennen! Für mich eine Forderung, die zeigt: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch! Auch das ist für mich ein Indiz dafür, warum Frankfurt den Kampf ums Stasi-Archiv verlieren könnte.

Die spezielle politische Landschaft in Frankfurt (Oder) und die diffuse Frankfurter Haltung in Sachen SED-DDR-Stasi ist und bleibt problematisch und wird natürlich in Berlin und in Cottbus sehr genau wahrgenommen. Roland Jahn, der Leiter der Berliner BStU-Zentrale, sympathisiert aus Gründen seiner  DDR-Erfahrungen mit dem Cottbuser Menschenrechtszentrum. Dort rechnen sie verständlicherweise mit seiner Unterstützung und kämpfen nun für den Umzug. Cottbus ist wegen der Berliner Unterstützung momentan leider drauf und dran, die Standortfrage für sich zu entscheiden. Wollen die Frankfurter zuschauen, wie die 55 gut bezahlten Arbeitsplätze der Archiv-Mitarbeiter nach Cottbus abwandern? Dies würde unsere Stadt nicht nur politisch schwächen, sondern inmitten der aktuellen Corona-Krise ökonomisch mit besonderer Wucht treffen!



Am 14.05.2020 habe ich erneut eine E-Mail an die Redaktion des Frankfurter Stadtboten (MOZ) geschickt mit folgendem Inhalt:

"Sehr geehrte Damen und Herren, seit vielen Monaten wird im Land Brandenburg diskutiert über den Standort des brandenburgischen BStU-Archivs. Seit Jahrzehnten befindet sich dieses Archiv der Stasi-Unterlagen in Frankfurt (Oder) und arbeitet hier sehr erfolgreich. Ich bin der Überzeugung, dass viele bekannte Sachgründe für einen Verbleib der BStU-Außenstelle in Franfurt (Oder) sprechen. Sie sind in Abwägung zum angedachten Standort Cottbus schwergewichtig. Dem Steuerzahler kann man die zuzumutenden Kosten, die durch den Verbleib der Außenstelle in Frankfurt (Oder) entstehen, wesentlich überzeugender darstellen als jene hohen Kosten, die durch einen Komplett-Umzug des Archivs nach Cottbus entstehen. Für den Standort Frankfurt (Oder) sprechen folgende Fakten: 1. Die Frankfurter BStU-Liegenschaft gehört dem Bund; 2. Jahrzehntelange konzeptionelle Arbeit und Erfahrungen vor Ort; 3. Ein erfahrenes und in der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit engagiertes Mitarbeiter-Team; 4. Keine Umzugs- und Nebenkosten in Millionenhöhe, denn in Cottbus müsste man eine neue Liegenschaft bauen, ein neues Team zusammenstellen und einarbeiten. Dies würde das brandenburgische BStU-Archiv in seiner Tätigkeit extrem blockieren. In Frankfurt wäre lediglich in eine schützende Klimaanlage zu investieren. Wer das alles vernünftig betrachtet, kann nicht nachvollziehen, warum ein Umzug überhaupt erwogen wird. Damals im Frühjahr 1990 war ich aktiv beteiligt bei der Auflösung der DDR-Staatsicherheit im Frankfurter Bürgerkomitee "Auflösung MfS" als Leiter der AG Akten/Unterlagen. Auch deshalb bin ich für den Verbleib des BStU-Archivs in Frankfurt (Oder). Alle interessierten Frankfurter sollten sich dagegen wehren, dass die 55 Arbeitsplätze der Archiv-Mitarbeiter nach Cottbus abwandern. Dies würde Frankfurt nicht nur politisch schwächen, sondern unsere Stadt inmitten der Corona-Krise ökonomisch mit besonderer Wucht treffen.
Mit freundlichem Gruss - Roland Totzauer"

Am 15.05.2020 druckte die MOZ meinen Leserbrief gekürzt ab:

Am 05.06.2020 informierte MOZ.de: "Das Brandenburger Archiv für Stasi-Unterlagen bleibt in Frankfurt (Oder)." Der MOZ-Artikel kann hier online gelesen werden.
Ich freue mich über diese Entscheidung. Die Frankfurter Archiv-Mitarbeiter können nun wieder in Ruhe ihrer Tätigkeit nachgehen. Jetzt muss nur noch der Bund die Landes-Entscheidung mittragen.
Am 06.06.2020 erschien in der MOZ-Leserbrief-Seite eine gekürzte Version meines Leserbriefes vom 15.05.2020.